„Mama, kannst du jetzt mit mir spielen?“ Was sich wie eine Frage anhört, ist selbstverständlich keine. Es ist vielmehr eine sehr eindringlich vorgebrachte Forderung, die der Vierjährige, zuverlässig, wie ein Schweizer Uhrwerk, Tag für Tag auf meine Tagesordnung setzt. Und genau so zuverlässig, versuche ich mich Tag für Tag davor zu drücken.

„Hmm… Klar, Schatz, kann ich machen. Ich muss nur eben noch die Küche aufräumen, einen Kuchen backen, den Keller streichen, den Zaun lasieren, die Garage aufräumen und ein kleines bisschen arbeiten – aber dann… dann spiele ich gerne mit“. Es versteht sich von selbst, dass ich das meiste davon nicht machen müsste. Oder zumindest nicht gerade jetzt. Doch ich mach es zehnmal lieber, als mit dem kleinen Spiel-Diktator in sein Fantasieland abtauchen zu müssen. 

Ich weiß, das hört sich furchtbar an. Doch glaubt mir, dafür gibt es Gründe. 

Ach ja, ich sollte vielleicht als Erstes klarstellen, dass es sich bei den Spielen, von denen ich hier rede, keinesfalls um Gesellschafts- oder etwa Sport-Spiele handelt. Bei denen wäre ich nämlich als Erste dabei und müsste wahrscheinlich eher zum Aufhören aufgefordert werden. Nein, das, was der Vierjährige da von mir verlangt, sind die sogenannten Rollenspiele. Also nach dem Motto „man schnappt sich irgendeine Figur und spielt darauf los“. Doch was sich einfach anhört, ist es ganz sicher nicht. Denn es gibt einiges zu beachten. Und genau da hört’ s bei mir auf. 

Und hier sind meine Gründe:

Grund Nummer 1.: Der Regisseur dreht alle paar Minuten einen anderen Film.

Kaum habe ich die mir zugedachte Spielfigur in die Hand gedrückt bekommen und erfahren, dass wir nun alle Tiere auf einem großen Bauernhof sind, die jetzt gleich eine Geburtstagsfeier des kleinen Schäfchens „Didi“ feiern sollen, erfährt das Drehbuch bereits eine Änderung. Ganz spontan tauchen auf unserer bis dahin friedlichen Party ein Paar Dinosaurier auf. Ok, soweit kann ich dem Geschehen noch ganz gut folgen. Wenn dann aber, ein Dinosaurier aus heiterem Himmel alle eingeladene Gäste beißt, sie sich dadurch alle in Fleischfresser verwandeln, die dann aber doch lieber Fisch essen, und daraufhin alle gemeinsam zu einer großen Reise zu einem Teich aufbrechen, kriege ich langsam aber sicher so meine Schwierigkeiten. Und wenn sie sich dann, am großen Teich angekommen, auch noch anfangen gegen die, dort lebenden, anderen Dinos mithilfe von ihren Laseraugen zu verteidigen, mit denen sie aber auch Eis schießen können… Sorry, aber spätestens jetzt bin ich raus. 

Selbstverständlich finde ich es als Mutter absolut großartig, was für eine Fantasie mein Kind da an den Tag legt. Doch mit ihm in diese Welt abzutauchen? Manno… ich versuche es immer wieder, doch für meinen immer müden Mama-Gehirn ist es echt zu viel. 

Grund Nummer 2.: Man darf nicht abwesend wirken, aber sich auch nie richtig beteiligen. 

Klar könnte man versuchen, den eigenen Kopf auf „Durchzug“ zu schalten und das Ganze mit Lächeln und Nicken über die Bühne bringen. Doch nix da. Wie ein Adler ne Maus, hat das Kind mich im Auge. Und wehe ich habe eine seiner zahlreichen Fragen nicht beantwortet oder auf einen Aufruf zum Schießen nicht mit einem begeisterten „Jaaaaa, jetzt machen wir sie alle!“, reagiert, schon liegt die nächste Ermahnung auf dem imaginären Tisch: „Mama, du spielst ja gar nicht richtig!“

Doch, Gnade mir Gott, sollte ich tatsächlich anfangen, „richtig“ mitzuspielen. Also auch eigen initiierte Handlungen vorzunehmen. Oh oh, dann ist der Herr General aber gar nicht amüsiert! Denn eins steht fest in diesem chaotischen Spiele-Universum – er allein ist der Bestimmer! Und dabei spielt es für ihn gar keine Rolle, dass mein gebissener Halb-Schaf-halb-Dino-Fleischfresser eine Feuerkanone parat hat, die alle unsere Feinde im Nu vernichten könnte. Nichts da. Selbst für solch vernünftige Argumente ist der „große Feldherr“ nicht zugänglich. 

Grund Nummer 3. Die Genderpolitik lässt zu wünschen übrig.

Als wäre es nicht schon genug, dass ich zwar mitspielen soll, dabei aber weder über den Spielverlauf an sich, noch über das Verhalten meines Charakters mitbestimmen darf, werde ich dabei auch noch stets in eine Geschlechter-Schublade rein geschubst. Wie? Ganz einfach: ich bin eine Frau. Also muss ich, nach den Vorstellungen meines Sohnes, stets die weibliche Rolle übernehmen. Im Klartext heißt es: Spielen wir PAW Patrol, bin ich Sky, im Super-Wings-Szenario muss ich Dizzy sein und selbst beim Feiern einer Geburtstagsfeier auf dem Bauernhof, komme ich um die Rolle des Mutterschafs, das für seine Lämmchen Kuchen backen muss, nicht herum. Und auch für meinen Einwand, dass ich Marshall eigentlich viel cooler als Sky finde, hat der Vierjährige kein Ohr frei. 

Ist nur gut, dass sowohl Sky als auch Dizzy in den Geschichten fliegen können. So kann ich sie vor lauter Frust quer durchs Zimmer feuern und hinterher behaupten, sie hätten einen „Ausguck-Flug“ für das Team gemacht. 

Und wer jetzt denkt: „Da musst du dein Kind eben besser, offener, geschlechtsneutraler erziehen“, dem sei gesagt: Glaubt’ s mir, ich hab’ s wirklich, wirklich versucht! Doch meine Niederlage stand bereits in seiner frühsten Kindheit fest. Schon als eineinhalbjähriger Windelpupser hat das Kind bei der Besetzung seines Lego-Duplo-Zuges konsequent alle Frauen aussortiert. Während Männer, Elefanten, Tiger, Pferde und gar Kühe mitfahren durften, wurden die Damen stets am Bahnhof stehen gelassen. Warum? Die Antwort darauf blieb mir das Kind bisher schuldig. Ich hoffe, ich erfahre es eines Tages.

Und so kämpfe ich weiter. Tag für Tag. Für mehr Frauenrechte auf dem Spielfeld. Für mehr Mitbestimmungsrecht für erwachsene Mitspieler und letztendlich gegen meine Unlust am Spielen. Denn, wie Corona uns allen gezeigt hat, bestimmen nur sehr wenige Personen darüber, ob dein Leben der Himmel oder die Hölle sein wird, und sie alle nennen dich „Mama“.