„Es ist nur ein Teil-Lockdown. Ein Lockdown light. Ein Shutdown. Ein Wellenbrecher … oder wie auch immer die neue Bleib-Zuhause-Anordnung dieses Mal bezeichnet wird. So schlimm ist das nicht. Wirklich. Schließlich bleiben die Kitas und Schulen offen. Also vorerst. Das ist das Wichtigste. Es wird schon nicht wie beim letzten Mal sein. Bestimmt nicht …“ – Wie ein Mantra sage ich es mir im Kopf vor, immer und immer wieder. Und das schon seit Wochen. Denn auch wenn dieser Light-Lockdown-Shutdown-Whatever-down erst gestern offiziell in Kraft getreten ist, hing er doch schon seit Wochen wie ein Damoklesschwert über uns allen. Oder haben nur wir Eltern es so wahrgenommen?
Ich habe es jedenfalls. Das hatte zur Folge, dass alles, was ich seit September tat, praktisch nur einem Ziel diente: Es schon mal erledigt zu haben, für den Fall, dass wir wieder alle zusammen Zuhause hocken müssen und ich vor lauter Kinderbetreuung, Home-Officing, Home-Putzing und Home-Koching nichts mehr gebacken bekomme. Abgesehen von den Plätzchen, die ich dann als Nervennahrung im Rahmen von Home-Backing natürlich reihenweise produzieren würde.
Also verbrachte ich die letzten Wochen und Monate damit das Haus zu putzen, die Papiere zu sortieren, die Garage aufzuräumen, Auto zu säubern, Arzttermine wahrzunehmen, Termine für alle möglichen Dinge rund ums Haus zu vereinbaren, Fotos in der Dropbox zu ordnen, Fotos für die Babyalben der Kinder zu bestellen, die Alben zu machen und so weiter. Sogar bei der Arbeit habe ich alle Sachen, die es zuließen, so weit vorbereitet, dass ich sie im Fall der Fälle mit nur wenigen Klicks abarbeiten kann. Ihr seht also, ich war so eine richtig nervige Streberin.
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Das werde ich manchmal, wenn ich mich unsicher fühle. Ist wahrscheinlich eine meiner nützlichsten und nervtötendsten Eigenschaften überhaupt. Mich selbst macht diese Streber-Lena voll fertig. Und ehrlich gesagt, dachte ich, ich wäre sie mittlerweile los. Sie scheint nämlich ein Schutzmechanismus zu sein, der dann greift, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Leben nicht in meiner Hand liegt. Wenn nicht ich am Steuer sitze. Dann kommt das Streber-Lenchen raus und tut und macht – und gibt mir so das Gefühl, wenigstens etwas unter Kontrolle zu haben. Auch wenn es sich dabei nur um geputzte Spiegel oder die aufgeräumte Garage handelt. Das erste Mal lernte ich sie übrigens genau morgen vor 20 Jahren kennen. Damals verließen meine Eltern mit meinem Bruder und meinem 15-Jährigen-ich im Schlepptau unsere Heimat Richtung Deutschland. Zu dieser Zeit tauchte die Streber-Lena das erste Mal auf und hielt mich über Wasser. In den letzten Jahren habe ich deutlich seltener von ihr gehört. Weil es einfach nicht nötig war.
Und nun ist sie so präsent wie damals, vor 20 Jahren. In diesem bescheidenen 2020. Dieses Jahr ist wie ein Spiegel aus einem Gruselkabinett, der uns all unsere Fratzen und verborgene Macken gnadenlos vorhält. Mir zeigt dieser Zerrspiegel, dass ich wieder einmal nicht am Steuer meines Lebens sitze. Und auch, wenn mein Krisen-Modus-Ich mir schon das eine oder andere Mal den Arsch gerettet hat – also im psychologischen Sinne – ist es keinesfalls darauf ausgelegt, über eine so lange Zeit wie jetzt funktionieren zu müssen. Also müssen wohl neue Schutzmechanismen her. Welche, die pandemietauglich sind. Welche, die mich durch diesen besonders dunklen Herbst bringen. Welche, die meine Leber nicht nachhaltig zerstören oder meinen Blutzuckerspiegel konstant hochhalten. Doch im Moment fällt mir außer Alkohol und Plätzchen tatsächlich nichts ein.
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Wobei das so nicht ganz stimmt. Habe ich beim letzten Lockdown noch darüber geschrieben, dass ich mich nur dann besonders hübsch mache, wenn ich mich besonders gut fühle, habe ich nun beschlossen, eine Gegenstrategie zu fahren. Im Klartext heißt es nun: Je beschiss*** bescheidener es mir geht, desto aufgetakelter werde ich aussehen. In der Hoffnung, dass mein Inneres sich so gezwungen fühlt, sich meinem Äußeren anzupassen. Umgekehrte Psychologie soll ja hier und da erfolgversprechend sein, habe ich gehört.
Wenn ihr mich also das nächste Mal seht und ich sehe aus, als wäre ich in einen Schmink-Koffer gefallen, macht euch keine Sorgen. Ich war nicht feiern und bin auch nicht unter die Influencer gegangen, ich wappne mich nur gegen die Dunkelheit und versuche mein Grusel-Inneres-2020 wenigstens von außen etwas farbenfroher zu gestalten.