Was macht diese Zeit mit uns? Frage ich mich seit März 2020 immer wieder. Was werden wir aus dieser Zeit lernen? Was werden wir ganz schnell wieder vergessen? Was wird in unseren Köpfen für immer bleiben, obwohl wir es eigentlich lieber vergessen würden? Werden wir nach der Pandemie einfach so wieder aus unseren Häusern und uns selbst rauskommen und unser Leben in vollen Zügen genießen? Oder werden wir uns, wie verschreckte Kaninchen noch lange nicht so richtig heraus trauen, obwohl die Gefahr schon längst vorüber ist?

Was macht diese Zeit mit unseren Kindern? Woran werden sie sich erinnern? Was werden sie aus dieser ganzen Pandemie-Sache gelernt haben? Dass man die Großeltern nicht umarmen darf? Dass Freunde besuchen nur draußen möglich ist? Dass man, wenn man irgendwelche Spielsachen mit Kumpels tauschen möchte, sie niemals persönlich übergeben, sondern nur vor dem Haus des anderen ablegen darf? Es sei denn, der Lockdown ist vorüber, und auf einmal darf man wieder alles.

Was richtet dieses Stop-and-go in den Köpfen und Herzen unserer Kinder an?

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Bei uns gab es heute nach knapp zwei Monaten das erste kleine „Go“. Die Kinder dürfen/müssen/sollen jetzt wieder in die Kita. Oh ja! Die Freude war groß! Zumindest bei dem Großen. Zumindest die Tage davor. Also vor heute.

Noch vor einigen Tagen freute sich das große ABC-Kind sehr über die Aussicht auf einen Kita-Tag mit seinen Freunden. Endlich wieder richtig spielen! Endlich wieder richtig toben! Endlich Freunde sehen! Und heute? Heute, als es endlich losging? Da stand er verloren, verunsichert und ja, ängstlich im Flur. Unsicher guckte er sich um. Überlegte, ob es wohl wirklich so eine tolle Sache ist, nicht mehr zu Hause bleiben zu müssen. Glücklich? Voller Vorfreude? In diesen Moment sicher nicht.

Und der Kleine? Dieses unglaubliche, witzige, schlaue, niedliche Wesen, das uns die Tage mit seiner immer guten Laune in den letzten zwei Monaten jeden Tag versüßte? Er schrie. Er schrie so, wie er das sonst nie tut. So, als würde es um sein Leben gehen. Aus dem tiefsten Herzen. Er wehrte sich. Und er klammerte sich an seinen Papa fest, so fest er nur konnte. Angst. Pure Panik überkam dieses Kind. Dieses sonst so fröhliche und unbeschwerte Kind. Denn er kennt sie nicht mehr. Sie alle nicht. Nicht die Erzieher. Nicht die Kinder. Nicht die Kita selbst. Für ihn ist alles wieder vollkommen fremd. Und das zum dritten Mal in diesem einen verfluchten Jahr!

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Als er Ende Februar-Anfang März 2020 mit stolzem 1. Jahr in der Kita eingewöhnt wurde, machte er es großartig! Trotz einer Erkältung – zuerst bei ihm selbst (die Eingewöhnung musste für eine Woche unterbrochen werden), dann bei seiner Erzieherin (die Eingewöhnung musste für eine Woche unterbrochen werden), hat er sich ziemlich schnell an das neue aufregende Leben in einer Kita gewöhnt. Zuerst mit Papas Unterstützung, dann ganz allein. Er konnte sogar schon sein Mittagsschläfchen dort machen. Also ganze zwei Mal. Denn dann kam Corona.

Von einem Tag auf den anderen war sein Leben wieder so, als hätte es diese aufregende Kita-Zeit gar nicht gegeben. Wieder zu Hause. Wieder bei Mama. Ach ja, und dem Rest der Familie. Das war vielleicht doch schon etwas ungewohnt, aber ganz sicher kein Grund zur Beunruhigung.

Und dann, zwei Monate später, sollte er wieder in die Kita. Doch dieses Mal gleich ohne Papa, ohne Mama. Ohne jegliche Eingewöhnungsphase musste dieses nicht einmal eineinhalb Jahre alte Kind sich direkt an der Tür von den Menschen verabschieden, von denen er die letzten zwei Monate pausenlos umgeben war. Na gut, wenigstens war der große Bruder dabei. Aber auch das half nur wenig. Alles wieder auf null. Alles wieder auf Anfang.

Und wieder machte er es großartig! Dieses starke, offene Kind. Wieder gewöhnte er sich an das tolle, bunte, aufregende Leben einer Kita. Jeden Morgen marschierte er mit einem Lächeln da rein. Ganz verzaubert von seiner Lieblingserzieherin musste er am Wochenende sogar „überredet“ werden, sich nicht für die Kita fertigzumachen. Und beim Spazierengehen musste ein großer Bogen um die Kita gemacht werden, weil es sonst Tränen gab. So gerne ging er hin.

Und dann? Dann kam eine kleine Erkältung, gefolgt von Weihnachtsschließzeit, gefolgt von Quarantäne, gefolgt vom Lockdown. Und schwuppdiwupp hat das Kind wieder einmal knapp zwei Monate keine Kita von innen gesehen.

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Was zwei Monate im Leben eines einjährigen Kindes ausmachen, weiß eigentlich jeder, der ein einjähriges Kind schon mal erlebt hat. Für sie ist das ein halbes Leben, eine Ewigkeit, ein Zeitrahmen von Ich-sag-kein-Wort zu Ich-singe-dir-20-Lieder-auswendig-vor. Oder in unserem Fall von Ich-spreche-und-verstehe-nur-meine-Muttersprache-Deutsch zu Ich-habe-mich-entschieden-jetzt-nur-noch-in-der-Sprache-meiner-russischen-Omi-zu-reden! Und ich texte euch alle solange zu, bis ihr mich zu verstehen lernt!

Na, die in der Kita werden ihren Spaß mit dem Kleinen haben! Also irgendwann … Wenn er selbst dann auch wieder Spaß hat. Also wenn er aufhört zu weinen und zu schreien und um sich zu schlagen. Wenn er sich dann wieder erinnern kann. An früher. An die Zeit davor. An das Leben, das er schon mal hatte und das er geliebt hat, das er einfach vergessen hat, weil es einfach viel zu lange her ist, dieses Leben.

Natürlich wird er es auch dieses Mal großartig machen. Davon bin ich überzeugt. Schließlich ist er kein Anfänger mehr. Also im Anfänger sein. Nach der dritten Eingewöhnung innerhalb eines Jahres ist er quasi ein Eingewöhnungsprofi. Vielleicht kann er ja den anderen Kindern, die es noch nicht so oft erlebt haben, Tipps geben. Seine Expertise in Sachen Eingewöhnung einbringen. Dann wäre es wenigstens für etwas gut, dieses ständige Stop-and-go in seinem noch so jungen Leben. Ich hoffe, es war für irgendwas gut.