„Ach menno… so will ich es nicht! So sieht es blöd aus!“, frustriert schmeißt der Vierjährige sein eben erst gebautes Lego-Mobil krachend auf die Fliesen. Es scheppert so, dass das ganze Haus zu wackeln scheint. Auf meine Nachfrage, was denn los sei, erklärt mir das Kind in einem halb-schreienden-halb-weinenden Ton, dass er sich die Konstruktion eben anders vorgestellt habe, doch es heute aus irgendwelchen Gründen nun nicht hinbekomme, diese Vorstellung auch in die Tat umzusetzen. Es ist kompliziert. Das Kind ist eben ein klassischer Perfektionist. Was ich durchaus verstehen und auch akzeptieren kann.

Was ich aber, spätestens nach den zum dritten Mal durch das Haus fliegenden Lego-Bauten, nicht akzeptieren kann, ist die Tatsache, wie hier mit dem, zwar gebraucht gekauften, aber dennoch sauteuren, Spielzeug umgegangen wird. Kaum habe ich ein „jetzt hör mal auf, die Sachen durch die Gegend zu schmeißen“, rausgebracht, höre ich mich auch schon mit erhobenem Finger sagen: „Als ich in deinem Alter war, hatte ich so tolle Spielsachen wie du nicht“. Und Zack, jetzt ist die Verwandlung wohl abgeschlossen – ich bin binnen Millisekunden nun endgültig zu meiner eigenen Mutter mutiert. Oder bin ich einfach nur „muttiert“?

So oder so, in diesem Moment hat der fast Fünfjährige nun keine Chancen mehr, psychisch unversehrt aus diesem Gespräch herauszukommen. Denn meine Lebensweisheiten haben offensichtlich den Ausgang nach draußen gefunden. Endlich ist der kleine Hosenscheißer alt genug, um über sein privilegiertes Dasein aufgeklärt zu werden.

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„Als ich so alt war, wie du“, setze ich also fort, „hatte ich nur zwei Puppen und diese hatten nicht einmal Haare“. Bähm – das hat gesessen. Und dabei war es nicht einmal gelogen. Ja, denn im Gegensatz zu den in Deutschland geborenen Eltern, habe ich als jemand, der die ersten sechzehn Jahre seines Lebens in einem kleinen kasachischen Dorf unweit der Grenze zu China verbracht hat, ein ganzes Füllhorn an Gruselgeschichten parat. Da kann nicht einmal die DDR mithalten.

Später wird es sich wohl so bei uns abspielen:

  • „Was, du möchtest dein eigenes Taschengeld? Als ich in deinem Alter war, habe ich auf einem Zwiebelfeld gearbeitet, um mir meine Schulsachen leisten zu können!“
  • „Du willst deine eigene Playstation? Ich habe meine damals auch mit acht Jahren bekommen. Allerdings habe ich dafür einen ganzen Sommer lang Früchte auf dem Markt verkauft!“
  • „Wirklich, du willst eine Spielzeug-Pistole? Ich habe mir meine damals aus einem Stück Holz geschnitzt.“

Und das Beste ist, sollten mir die Geschichten doch einmal ausgehen, kann ich noch immer damit drohen, das Kind im Falle des späteren Ungehorsams, für drei-vier Wochen zu seinem Großonkel in meine Heimatstadt zu schicken. Ich vermute, allein die Erwähnung von einem Plumpsklo und dem Ausmisten in einem echten Schweinestall dürfte ihre Wirkung nicht verfehlen.

Doch jetzt fangen wir erst einmal klein an: „Wer sein Lego nicht aufräumt, möchte es wohl nicht behalten. Kein Problem, ich kenne da sehr viele Kinder, die sich darüber freuen würden“, warne ich das Fast-Vorschulkind also vor. Die Antwort darauf, warum meine zwei Puppen denn keine Haare hatten, bleibe ich ihm allerdings schuldig. Woher soll ich das denn auch wissen? Schließlich waren für ihre Produktion andere Kinder zuständig.