Es gab eine Zeit, da war ich eine perfekte Mutter! Eine Mutter, die immer geduldig, ja tiefenentspannt ist. Ich war eine Mutter, die ganz genau weiß, was das Beste für ihre Kinder ist und IMMER danach handelt. Eine Mutter, die ihre Kinder niemals anschreit. Eine Nuckel-müssen-immer-abgekocht-werden-Mutter. Eine Nur-Holzspielzeug-keine-Plastikspielsachen-Mutter. Eine Nur-gesundes-Essen-Mutter. Eine Kein-Fernseher-bis-zur-Schule-Mutter. Eine Das-Zuhause-muss-immer-ordentlich-sein-Mutter. So eine gute Mutter war ich! Doch dann bekam ich Kinder.

Sehr motiviert gestartet, musste ich einigermaßen bald feststellen, dass diese kleinen putzigen Wesen gar nicht sooo unbedingt an irgendwelchen Vorgaben, Plänen und an sie gestellten Erwartungen interessiert sind. Außerdem hat sich herausgestellt, dass sie auch noch einen eigenen, nicht zu überhörenden, Willen mitbringen. Ganz ehrlich, wer hätte denn DAMIT rechnen können?!

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Tja nun… so ist das halt. Aber eine perfekte Mutter wird mit so was doch locker fertig! Na dann mal los. „Man reiche mir den Wassertopf – es müsse abgekocht werden!“ Alles, was das Baby auch nur gedenkt, sich eventuell mal in den Mund zu stopfen, muss gründlichst und unter Beachtung strengster Hygieneregeln mindestens 10 Minuten lang gekocht werden. So will es das Perfekte-Mutter-Gesetz. Naja … und auch einige Ärzte und Hebammen, aber das ist selbstverständlich zweitrangig. 

Ach, was habe ich gekocht! Jedes auf den Boden gefallene Spielzeug, Fläschchen, Becherchen, Löffelchen und natürlich (und vor allem) Nuckel – alles wanderte in den Kochtopf. Manches davon sehr sehr häufig. Denn was ich bis dahin nicht wusste, war, dass so ein Baby es durchaus als amüsant empfinden kann, seinen frisch entkeimten Schnuller unter der Zuhilfenahme seiner pummeligen Patschehändchen mit voller Wucht aus dem Munde in Richtung Fußboden zu befördern. Und das immer und immer wieder.

Während ich es bei den ersten Malen noch den Baseball-Spielern gleichtat und den im hohen Bogen ausgespuckten Beruhigungssauger mit einem Satz und einem „Neiiiiiiiin“ im Flug knapp über den Boden auffing, ließen mich meine Kräfte und auch meine Motivation bei dem circa 45. Mal so langsam aber sicher in Stich. Und das Elend nahm seinen Lauf – meine Perfekte-Mutter-Einstellung fing an, die ersten feinen Risse zu bekommen. Von da an, bis zum ersten Runtergefallenen-Nuckel-sich-selbst-in-den Mund-stecken-statt-abzuwaschen war es letztendlich nur noch ein Katzensprung.

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Auch andere schlimme Gedanken fingen plötzlich an, in meinen Kopf zu kriechen: „Aber was ist, wenn vielleicht … nur ganz eventuell …  also möglicherweise … es doch nicht ganz sooo schlimm ist, wenn das Kind mal fünf Minuten vor dem Fernseher sitzt? Selbstverständlich mit einem sehr sorgfältig ausgewählten Inhalt. Etwas für Kleinkinder Geeignetes. Natürlich nur höchstens fünf Minuten. Und danach gibt es eine Woche lang nur noch Bücher und von mir vorgesungene Kinderlieder. Nur eine halbe Folge Bobo Siebenschläfer oder so. Ohh, sieh nur, wie ruhig und gleichzeitig zufrieden er dabei ist! Und diese Ruhe!“

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Hmm … also diese Ruhe ist ja schon recht verlockend. Denn im Gegensatz zu der perfekten Mutter, die ich war, bevor ich Kinder hatte, war ich MIT Kind alles andere als tiefenentspannt. Neben dem Schlafentzug und dem 24/7-Einsatz könnte es eventuell daran gelegen haben, dass das neue Familienmitglied eine etwas andere Sichtweise von „Perfektion“ hatte als ich und diese mit mir gerne ausführlich und in aller Deutlichkeit ausdiskutieren wollte.

Obwohl ich dem Jungen nun wirklich außerordentlich verständlich erklärt habe, dass es nicht gut für ihn ist, verlangte er nach Süßigkeiten. Er hatte auch so gar keinen Bock auf das mühevoll gekochte Spinat-Kartoffel-Mahl. Stattdessen wollte er Würstchen, Rosinenbrötchen und Pudding. Er hielt auch nicht viel von der Holz-Eisenbahn, sondern wollte viel lieber mit der geschenkten Fisher-Price-Fernbedingung spielen, die so grässliche Geräusche machte, dass sie bis heute als Soundtrack in meinen schlimmsten Albträumen auftauchen.

Und so, wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, so brachte auch mein Kind die Perfektionsmauer in meinem Kopf nach und nach zum Bröckeln. Ach Quatsch – mit seinen gekonnt eingesetzten Beweisen der Willensstärke, auch Wutanfall genannt, hatte er die Mauer innerhalb kürzester Zeit in tausend Stücke gesprengt.

Das zweite Kind bekam dann einfach nur noch eine ganz und gar unperfekte Mutter. Gratis dazu gab es Gläschen-Nahrung, viel Plastikspielzeug, sehr viel nicht altersgerechten Fernsehkonsum, ab und zu Süßigkeiten und sehr viel mehr Gelassenheit.